Freitag, 7. August 2009

Rezension: Monika Hauser – Nicht aufhören anzufangen. Eine Ärztin im Einsatz für kriegstraumatisierte Frauen.

Der folgende Text ist in Heft 29 von Olympe – feministische Arbeitshefte zur Politik erschienen.

Im Herbst 2008 erhielt die im Kanton St. Gallen aufgewachsene Südtirolerin Monika Hauser den Right Livelihood Award, besser bekannt als Alternativer Nobelpreis, «für ihren unermüdlichen Einsatz für Frauen, die in Krisenregionen schrecklichste sexualisierte Gewalt erfahren haben, und für ihren Kampf, ihnen gesellschaftliche Anerkennung und Entschädigung zu verschaffen». Wer die Berichterstattung über dieses Ereignis verfolgt hat, weiss wohl beinahe so viel über den Menschen Monika Hauser, wie wer das als Biographie vorgelegte Buch von Chantal Louis gelesen hat. Die Journalistin und «Emma»-Redakteurin Louis verwendet Monika Hausers Lebensgeschichte als Rahmen, um über die Arbeit der Organisation medica mondiale zu schreiben. Die Geschichte dieser Organisation ist untrennbar verknüpft mit jener ihrer Gründerin, der Gynäkologin Monika Hauser. Louis schildert uns jedoch nur jene Begebenheiten aus Hausers Leben, die im Zusammenhang mit ihrer späteren Arbeit stehen. Dafür erfahren wir einiges über sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Kriegs- und Krisensituationen: über das erschreckende Ausmass, über die Traumatisierung, über die Verleugnung durch die Öffentlichkeit, über den Widerstand und das Überleben der Frauen. Es kommen Frauen zu Wort, die bei medica mondiale in Bosnien und andernorts Hilfe gesucht haben. Ihre Geschichten machen auch deutlich, dass der Krieg zwar schon lange vorbei, der Bedarf an Unterstützungsangeboten jedoch noch immer gross ist. Chantal Louis vermittelt uns auch einen Einblick in die Praxis der Mitarbeiterinnen von medica mondiale. Wir erfahren nicht nur, welche logistischen Schwierigkeiten beim Aufbau eines Zentrums für kriegstraumatisierte Frauen zu überwinden waren, sondern auch wie ein therapeutischer Ansatz für deren Begleitung entwickelt bzw. adaptiert wurde. «Monika Hauser – Nicht aufhören anzufangen» dokumentiert ein wichtiges Projekt und damit ein eindrückliches Stück feministischer Geschichte und ist, wenn auch nicht drinsteht, was draufsteht – oder gerade deswegen –, ein lesenswertes Buch.

Chantal Louis: Monika Hauser – Nicht aufhören anzufangen. Eine Ärztin im Einsatz für kriegstraumatisierte Frauen. rüffer & rub Sachbuchverlag, Zürich 2008.

Dienstag, 31. März 2009

Sao Paulo: Kundgebung gegen die Krise

Am Montag Nachmittag fand im Zentrum von Sao Paulo eine Kundgebung gegen die weltweite Krise statt. Organisiert wurde sie von einem Bündnis verschiedenster antikapitalistischer Organisationen, von Gewerkschaften und der Marche mondiale des femmes. Im Bild Mirjam Nobre, Koordinatorin der MMF, bei ihrer Ansprache.



Hier im Bild einige Mitglieder des Internationalen Komitees (IC) der MMF und Mitarbeiterinnen des Sekretariats der MMF bei der Kundgebung.
Heute vertieft das IC die Diskussion einer feministischenn Antwort auf die Krise.

Sonntag, 29. März 2009

Unterwegs nach São Paulo

Morgen trifft sich in São Paulo das Internationale Komitee (IC) der Marche mondiale des femmes (MMF). Das IC ist eine Art Steuerungsgruppe, die verantwortlich ist für die Umsetzung der Beschlüsse der Internationalen Treffen der MMF. Zusammengesetzt ist das IC aus zehn Frauen aus allen Weltregionen. Vor einem Monat wurde ich als eine der beiden Vertreterinnen für Europa in dieses Gremium gewählt.
Kürzlich wurde ich gefragt, weshalb ich mich denn für eine internationale Bewegung wie die MMF engagiere, weshalb ich mich denn für Frauen im Land XY einsetze, wenn es doch hier bei uns so Vieles zu tun gäbe. Nun, genau das ist der Grund. Das Ziel der MMF ist, Gruppierungen von Basisfrauen zu vernetzen. Das heisst, im Zentrum steht die lokale Aktion. Die internationale Vernetzung stärkt die Aktivitäten und Positionen der Frauen in Neuenburg ebenso wie die Frauen in Burkina Faso. Das Wissen darum, dass auch nächstes Jahr wieder in über 100 Ländern gleichzeitig Frauen für die Durchsetzung ihrer Rechte, die Umsetzung ihrer Forderungen zu den Themen Gewalt, Armut, Frieden und Nahrungssouverenität einstehen werden, motiviert und bereichert. Es bestärkt im Bewusstsein, dass es sich bei den Anliegen nicht um «Partikularinteressen» handelt, sondern um Forderungen, die von unzähligen Frauen auf der ganzen Welt geteilt werden.
Die MMF hat im Jahr 2000 in der Schweiz ermöglicht, dass sich Frauen aus allen Landesteilen über die Sprachgrenzen hinweg in einer feministischen Bewegung zusammengefunden haben. Die Zusammenarbeit zwischen Romandes und Deutschschweizerinnen wurde seither aufrecht erhalten. Die internationale Aktion 2005 durch beide Landesteile. Für 2010 soll diese Zusammenarbeit intensiviert werden, vor allem in der Deutschschweiz möchten wir vermehrt lokale Gruppierungen zu Aktionen motivieren.
Meine Mitarbeit im IC sehe ich auch als Beitrag dazu, dass Frauen, die sich hier bei uns für feministische Anliegen einsetzen, sich als Teil einer grösseren Bewegung sehen können und sich von der Fantasie und den Erfahrungen von Frauen in aller Welt inspirieren lassen.
Die neuen Technologien ermöglichen es uns zwar, via Skype oder andere Plattformen zu kommunizieren. Damit lassen sich einige Sitzungen und damit verbundene Flugreisen vermeiden. Doch von Zeit zu Zeit braucht es die persönliche Begegnung. Dabei entsteht eine Dynamik und Verbundenheit, die - wenn es gelingt sie in die lokalen Bewegungen zurueckzutragen - mitreisst und vergessen laesst, wie wenig zeitliche und finanzielle Ressourcen vorhanden sind.

Freitag, 20. März 2009

Einige Gedanken zu Gewalt gegen Frauen und Internetnutzung

In den letzten Wochen erfreut sich das Thema Gewalt gegen Frauen einer schrecklichen Medienpräsenz: Ein Jugendlicher begeht ein Massaker an Schülerinnen und Lehrerinnen, ein Mann bringt Frau und Kind um und begeht danach Selbstmord, ein junger Mann lockt unter falschem Vorwand eine 16-jährige Frau in seine Wohnung und tötet sie, ein alter Mann steht vor Gericht wegen Mord, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung, schwerer Nötigung, Sklaverei und Inzest.

Jede dieser grauenvollen Taten wird als tragischer Einzelfall dargestellt. Ursachen und Konsequenzen der Taten werden - wenn überhaupt - geschlechterneutral diskutiert. Mehr noch: Die Geschlechterfrage wird verschleiert. Aus dem zweifachen Mord eines Mannes an seiner Frau und seinem Kind mit anschliessendem Suizid wird eine «Familientragödie» - hier wird auch noch unterschlagen, wer Täter und wer Opfer ist. Für das Massaker in Winnenden haben Luise F. Pusch und Alice Schwarzer auf den Punkt gebracht, was hinter der Tat steht aber nicht ausgesprochen wird: Frauenhass. Die Lektüre von Schwarzers Artikel war beklemmend und befreiend zu gleich. Endlich wird in einer grossen Tageszeitung diese schreckliche Realität benannt - wenn auch nur in der Rubrik «Meinungen». Aber was anfangen mit dieser Aussage?

Schwarzer fordert uns auf, über des Täters «Parallelleben in einer virtuellen Welt voller gewalttätiger Helden» nachzudenken. Ich will hier ihre Überlegungen zu Abstumpfung und Verlust der Empathiefähigkeit durch den Konsum von Porno- und Gewaltvideos nicht wiederholen, ich halte sie für sehr treffend. Doch den Begriff des Parallellebens möchte ich aufnehmen und zwar in Verbindung mit Online-Computer-Spielen. Die Community der Online-Gamerinnen und -Gamer wächst ständig. Laut dem Statistik-Portal statista gehören in Deutschland 15% der Männer und 9% der Frauen ab 14 Jahren dazu. Ein Drittel der männlichen Jugendlichen (12–19 Jahre) spielt täglich oder mehrmals pro Woche Multi-User-Online-Games, von den weiblichen Jugendlichen sind es 5% (JIM S. 48f.). Nicht alle Online-Gamer und -Gamerinnen leiden unter Empathieverlust oder mangeln an Mitleidensfähigkeit. Wie so oft ist es auch hier eine Frage des Masses, was den Game-Inhalt und die Spielzeit betrifft, aber auch den persönlichen Umgang damit. Online-Games können abhängig machen, zu zwanghaftem Verhalten führen. Eine der Folgen davon: Die Unterscheidung zwischen dem realen Leben (im GamerInnen-Jargon kurz RL für «real life») und dem Spiel verschwindet. Bilder aus dem Spiel überlagen die Bilder der Realität: In der Häuserzeile, durch die man zur Arbeit oder zur Schule geht, wird das Quartier aus dem letzten gespielten Level gesehen; der Fremde auf der Strasse trägt die Züge einer kürzlich bekämpften Spielfigur. Man entfremdet sich der realen Welt immer mehr, findet sich in ihr immer weniger zurecht, flüchtet sich noch mehr in die Spielwelt, kann sich dem realen Leben jedoch nicht völlig entziehen. Auch der Sinn für die Kontinuität des Lebens, die Einmaligkeit geht verloren, denn im Spiel lässt sich fast alles wiederholen. Zu einem solch zwanghaften Verhalten kommt es lange nicht bei allen GamerInnen, doch glaube ich, dass die Zahl grösser ist, als wir wahrhaben möchten. Und natürlich werden lange nicht alle abhängigen GamerInnen zu GewalttäterInnen. Aber eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Thema braucht es dennoch.

Ein Aspekt, den weder Schwarzer noch Pusch erwähnen, den ich aber aus meiner beruflichen Erfahrung als IT-Coach ebenfalls als wichtig erachte, hat mit einem anderen Teil der Unterhaltungsindustrie zu tun. Denke ich z.B. daran, wie in einem Workshop an einer Tagung zu Gewalt gegen Frauen junge Frauen ihren Alltag, das Geschlechterverhältnis unter Jugendlichen beschrieben haben, so erinnert mich dies sehr an Darstellungen in Musik-Videos der Sparte Gangsta-Rap. Gangsta-Rap glorifiziert klischeehaft Gewalt und das Gang-Leben. Das damit portierte Frauenbild ist entsprechend: Frauen haben primär eine dekorative Funktion, sind Statussymbol, werden mit möglichst wenig Kleidern dargestellt und manchmal auch an einer Hundeleine gehalten. Sie werden sehr oft als Huren betitelt, während Gangsta-Rapper sich gerne als Pimps (zu deutsch Zuhälter) bezeichnen. Diese Videos sind allgegenwärtig: auf Musiksendern im Fernsehen, auf Webseiten, auf MP3-Playern, auf Handys. Die Kids lieben die Musik und wie wir damals verstehen sie den Text nicht. Aber die Bilder prägen sich ein. Und wenn junge Frauen heute berichten, dass ihre Freunde sie quasi als ihren Besitz betrachten, finde ich es dringend und notwendig, diesem Zusammenhang nachzugehen.

Bei Jugendlichen etwas weniger verbreitet als das Gamen ist das Downloaden von Musik aus dem Internet: 11% der männlichen und 7% der weiblichen tun es mehrmals wöchentlich (JIM S. 48f.). In meiner Arbeit als IT-Coach erlebe ich es immer wieder, dass mich Kinder oder Jugendliche bitten, auf dem Computer ihrer Eltern, ein Programm zum Downloaden von Musik zu installieren. Meistens fragen sie nach einer Peer2Peer Software wie Limewire oder BitTorrent. Meistens sind es die Mütter, die nachfragen (die Väter scheinen da sorgloser) und Informationen zur Technologie und zu meinen Erfahrungen haben möchten. Meine Antwort: Ich kenne keine einzige Person, die eine solche Software regelmässig nutzt und sich damit nicht schon versehentlich Pornografie auf den Computer geladen hat. In so mancher geladenen Datei ist nicht drin, was draufsteht. Oder um die Datei zu entschlüsseln werden UserInnen per Link auf Websites mit pornografischem Inhalt geleitet. Viele Eltern wissen zu wenig über diese Medien und Technologien und haben keine Vorstellung davon, wie einfach sich auf diesem Weg Pornografie in den Alltag ihrer Kinder einschleicht. Kinder und vor allem Jugendliche kennen sich zwar mit Internet und Computer oft besser aus, können aber die damit verbundenen Gefahren nicht einschätzen. Sie deswegen von diesen Technologien fernzuhalten kann jedoch nicht die Lösung sein, denn ihre Entwicklungschancen hängen von ihrer Medien- und Technologiekompetenz ab. Unter Fachleuten findet die Diskussion über geeignete Schutzmassnahmen bereits statt (jüngstes Beispiel ein Podium an der CeBIT), auch die Medien berichten immer mal wieder über Gefahren, doch wie dieses Wissen die wenig geübten UserInnen erreichen soll, diese Auseinandersetzung ist noch lange nicht zu Ende geführt.